Im Rahmen eines aktuellen Urteils zu einem solchen Entschädigungsanspruch zweifelte das Bundesarbeitsgericht kürzlich an seiner bisherigen Rechtsprechung und wird Ansprüche schwerbehinderter Bewerber nach dem AGG zukünftig wohl nicht mehr davon abhängig machen, dass der Bewerber für die ausgeschriebene Stelle „objektiv geeignet“ war. Nach dem Gesetz sei nämlich ein Entschädigungsanspruch für Personen, die "bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wären“, gerade nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach begrenzt.
Der klagende Großhandelskaufmann verfügte über langjährige Erfahrung in verschiedenen kaufmännischen Bereichen. Zuletzt war er als Verwaltungsmitarbeiter tätig. Er bewarb sich auf eine von der Beklagten, einer Körperschaft öffentlichen Rechts, ausgeschriebenen Stelle als "kaufmännische/r Sachbearbeiter/in". In seiner Bewerbung wies er darauf hin, dass er aus gesundheitlichen Gründen seine Erwerbstätigkeit für mehrere Monate unterbrechen und sich aufgrund seiner Schwerbehinderung beruflich neu orientieren musste. Die Beklagte erteilte der Bewerbung des Klägers eine Absage, ohne ihn zuvor zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu haben. Auf Nachfrage wurde erklärt, dass der Bewerbung nicht zu entnehmen gewesen sei, dass eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliege. Deswegen sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Dieser begehrte daraufhin eine Entschädigung nach dem AGG und war in allen Instanzen erfolgreich.
Dem klagenden Großhandelskaufmann stand gegen die beklagte Körperschaft ein Entschädigungsanspruch wegen unmittelbarer Benachteiligung wegen seiner Behinderung zu (§ 15 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 und § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 81 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 sowie § 82 Satz 2 SGB IX). Bisher war das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung der Ansicht, dass ein Entschädigungsanspruch eines unterlegenen Bewerbers voraussetzt, dass dieser für die zu besetzende Stelle „objektiv geeignet“ war. Ob daran festzuhalten ist, zweifelten die Richter nun an. Nach der Schadensersatzvorschrift des AGG (§ 15 Abs. 2 Satz 2 AGG) ist nämlich der Entschädigungsanspruch für Personen, die "bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wären“, nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach begrenzt. Das Bundesarbeitsgericht betonte weiter, dass zudem das Erfordernis der "objektiven Eignung" wohl eine parallele Überprüfung der "objektiven Eignung" der eingeladenen Bewerber nach sich ziehen müsse, da die Feststellung einer "vergleichbaren Situation" nicht ohne Vergleichsbetrachtung auskommen könne. Eine solche Prüfung und Vergleichsbetrachtung finde jedoch weder in den Bestimmungen des AGG noch in der entsprechenden EG-Richtlinie (2000/78/EG) eine hinreichende Grundlage. Die Richter entschieden, dass dies im Streitfall dahinstehen konnte, weil der Kläger für die zu besetzende Stelle objektiv geeignet war und die beklagte Körperschaft auch hinreichende Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers hatte. Nach dem Gesetz (§ 2 Abs. 2 SGB IX) sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Demzufolge musste die Beklagte den Hinweis des Klägers in seiner Bewerbung auf seine "Schwerbehinderung" so verstehen, dass mindestens ein solcher Behinderungsgrad vorlag; eine ausdrückliche Angabe des Grads der Behinderung war nicht erforderlich.
Sollte das Bundesarbeitsgericht zukünftig bei der Entscheidung über Entschädigungsansprüche auf das Erfordernis der „objektiven Eignung“ verzichten wollen, wird die Zahl der geltend gemachten Ansprüche wohl signifikant steigen. Arbeitgeber müssen daher noch genauer die Gründe für ihr Auswahlverfahren dokumentieren und einen Überprüfung der vorhandenen oder abzuschließenden D&O Versicherung auf eine inkludierte AGG Deckung ist empfehlenswert.
Dr.Andreas Rohde
Rechtsanwalt
DHPG Bonn